Kaarali- Gletscher, Ammassalik, Tassilaq
2011
Einen Reisebericht finden Sie unterhalb der Galerie
Trekking und Bergsteigen in Ostgrönland
Plong, Plong - ein vertrautes Geräusch. Kleine Eisbrocken schlagen gegen den Glasfaserrumpf eines Motorbootes. Mit Vollgas und in großen Kurven steuert Geoq um die Eisberge des Ammassalik-Fjords. Über den Bordfunk hört er die Gespräche der anderen Bootsführer, die sich mit weit weniger Tempo durch das Eis an der Küste mühen. Denn dieser Sommer ist speziell in Grönlands Osten. Sturmtiefs haben immer wieder Treibeis an die Küste und in die Fjorde gedrückt, ein fahrplanmäßiger Schiffsverkehr ist nicht möglich. Für die Bewohner hier ist das jetzt, Ende Juli, vielleicht nicht gerade gewöhnlich, aber kein Problem. Reiseveranstalter und Touristen werden da schneller nervös, schon im Flughafen von Reykjavik kam Panik auf. Orte können nicht erreicht, Termine nicht eingehalten und hochgesteckte Pläne nicht verwirklicht werden.
Wir haben Glück. Am Hafen von Kulusuk sprechen wir Geoq an, er hat gerade einer Touristengruppe Eisberge gezeigt, der Fjord ist schiffbar. Doch als wir, nach ein paar Einkäufen, aufbrechen wollen, hat das Eis den Hafen schon wieder zugeschoben. Sein zweites Boot ist noch frei, und so erreichen wir nach nur 40 min den kleinen Ort Kuummiit,
weit hinten im Ammassalik-Fjord. Die Häuser sind nicht so bunt wie in Westgrönland, aber die Ursache dafür sollten wir später noch herausbekommen. Das Versorgungsschiff hatte es diesen Sommer schon hierher geschafft, wir kaufen noch Koch-Benzin und ein paar letzte Sachen.
Zu zweit wollen wir in den nächsten drei Wochen nach Tiniteqilaaq laufen, dabei eine Runde über den Kaarali-Gletscher einlegen und dort Bergsteigen. Die Ausrüstung dafür ist minimalistisch, Steigeisen, Pickel, ein 60m Halbseil, einige wenige Schrauben. Aber mit der Nahrung für die ganze Zeit kommen monströse Rucksäcke zusammen. Ersatz-Wäsche und weiterer Luxus wurde zu Hause mit der Briefwaage gewogen und reduziert, nur die Fotoausrüstung blieb verschont. Ein Gewehr nehmen wir nicht mit, normalerweise sollten die Eisbären jetzt nicht mehr hier sein. Ein ausgehungerter Polarfuchs besucht unser Camp am Ortsrand, mit stierem Blick verschlingt er ein paar Fischreste. Jetzt wissen wir, vor wem wir uns in acht nehmen müssen, wenn wir in den nächsten Wochen Zelt und Vorräte mal zurück lassen.
1 / Tuno - Kaarali
Im Nieselregen ziehen wir los, die wenigen Wegspuren verlieren sich kurz nach dem Ort. Wir treffen noch eine Trekkinggruppe, bevor wir mittags die beschriebene Route verlassen. Nach einer ersten
eisigen Furt durch den Tunup Kuua krabbeln wir über Blockwerk entlang des Tunu-Fjords - „Tunu“ heißt Ost- oder Rückseite, abgelegen sind wir hier schon nach einem halben Tagesmarsch. Das erste
Lager dann am Rand eines gigantischen Sanddeltas. Der Fluß ist gar nicht so mächtig, aber bei Schneeschmelze scheint es hier wild zuzugehen. Mitten im Geröll blüht das arktische Weidenröschen in
großen Feldern. „Niviarsiaq“ - die Nationalblume Grönlands - erobert als Pionierpflanze ganze Schuttfelder, ein wirklich anrührender Anblick. Es fällt schwer, aber noch oft werden wir in den
nächsten Wochen mitten hindurch trampeln müssen.
Einige Bachquerungen später stehen wir auf dem Gletscher. Aper und ungefährlich führt uns eine kilometerbreite Zunge in das weitverzweigte System des Kaarali-Gletschers. Mittags sehen wir dann nichts mehr, Nebel hüllen uns ein. Mit Kompaß und GPS tasten wir uns in das richtige Gletschertal weiter nach Norden. Und erleben dort die erste Überraschung. Bei unserer Nussuaq-Durchquerung in Westgrönland hatten wir einen nicht kartographierten Gletschersee gefunden, hier fehlt jetzt ein mehr als drei Kilometer langer See. Er ist einfach ausgelaufen, den Gletscher, der ihn angestaut hatte, ziert nun ein großes Gletschertor, durch das ein Fluss hinein
fließt. Eine markante Linie im Eis lässt das Volumen des Sees erahnen - ob er in einem großen Gletscherlauf durch das Fluss-Delta geschwappt ist?
Am nächsten Vormittag erreichen wir den ersten vergletscherten Paßübergang. Eine Wolkenlücke gibt den Blick frei auf den weiteren Verlauf des Kaarali-Gletschers, umrahmt von gewaltigen Granitbergen. Tief unten im Nebel liegt das Tal des Tasiilap Kuua, durch das eine Trekkingroute nach Norden zum Eisfjord Sermilik führt. Wir haben bereits das Seil angelegt, obwohl der Gletscher hier herauf immer noch aper war. In 750m Höhe fällt er nun nach Norden ab und ist schneebedeckt. Und dieser Schnee ist abgrundtief durchfeuchtet, ohne jede Stabilität, wie man es von Sommerfirn erwarten würde. Vorsichtig tasten wir uns vorwärts, versuchen Spalten zu erahnen. Wieder umhüllen uns Nebel und Wolken. Bereits nach wenigen 100m breche ich ein, die Beine zappeln im Leeren, aber der Rucksack hält mich noch am Spaltenrand. Der Pickel findet im Schneematsch erst mal keinen Halt, es dauert ewig, bis ich mich aus dem Loch heraus gewühlt habe.
Es hat keinen Zweck, auf dem schneebedeckten Gletscher können wir uns jetzt im Sommer nicht bewegen, nicht mit 30kg Rucksäcken. Selbst die kurze Strecke hinüber zur kleinen Bergsteigerhütte, von der wir zum Tasiilap Kuua absteigen könnten, ist zu riskant. Also zurück, wieder durch das Schlammloch des ausgeflossenen Sees, fast zurück bis Kuummiit. Wie viele Tage werden wir verlieren, macht es Sinn, die Bergausrüstung weiter mit zu tragen?
2 / Tasiilap Kuua - Ningerti
Doch schon zwei Tage später marschieren wir bei Ebbe durch den Tasiilap-Fjord und erreichen das gleichnamige Flußtal. Am Fjord noch eine kleine Rückschau in die Zivilisation, einige Boote fahren
auf und ab, wir finden das verlassene Lager einer Schweizer Trekkinggruppe, eine Inuit-Familie hält Picknick und schwelgt in frisch gefangenem Lachs. Am Tag zuvor, auf einer kurzen
Gletscherquerung beim Tunup Kuua, hatten wir einen verwitterten kleinen Rucksack gefunden: Zwei zerborstene Thermosflaschen, einige handvoll Munition, ein Signalspiegel, ein mit Wasser gefülltes
Fernglas. Wir hoffen, daß er nur vom Schlitten gefallen und nichts Schlimmes passiert ist.
Im großen Tal des Tasiilap Kuua wird es dann richtig lieblich, Blumenwiesen und kleine Seen laden zum Verweilen ein. Das Wetter ist inzwischen schön geworden, wir laufen im Unterhemd, auch wenn
ein paar Mücken den Spätsommer ebenfalls genießen. Hier wird selten, aber doch regelmäßig gegangen, in der Vegetation hat sich ein kleiner Pfad gebildet. Die Kulisse ist grandios, 2000m hohe
Granitwände türmen sich über uns, dazwischen fallen Gletscherzungen aus dem Himmel ins Tal hinab. Die dazugehörigen Bäche müssen immer wieder gefurtet werden, mal springen wir über Steine, oft
müssen Stiefel und Hosen aus. Trotzdem sind wir zügig unterwegs, die
Landschaft wird wieder karger und steiniger. Ein kleiner See inmitten einer Mondlandschaft aus Sand- und Moränenfeldern wird unser Lagerplatz. Früh morgens
balancieren wir über grobes Blockwerk, überschreiten einen Paß und erreichen zeitiger als erwartet den großen Eisfjord Sermilik. Im Westen bildet nun das Inlandeis wie ein gigantisches Leichentuch den Horizont. Zerklüftete Eisströme fließen herunter in den mit Eisbrocken übersäten Fjord. Weit im Süden rundgeschliffene Granitberge, irgendwo dort leben im kleinen Dorf Tiniteqilaaq Menschen am Rand der Welt. Aber uns zieht es erst einmal weiter nach Norden, wo sich die Gletscherströme zwischen den Bergen in den Fjord quetschen.
Bei Ningerti haben diese Gletscher einen Moränenwall aufgeschoben. Steil fällt der Schotter 100-200m in den Eisfjord hinab. Auf der Bergseite hat sich eine kleine, abgeschlossene Mikro-Landschaft aus Seen und Tümpeln gebildet. Hier errichten wir ein Lager, von dem aus wir den NW-Strom des Kaarali-Gletschers in Tagestouren erkunden wollen. Laut protestierend verläßt eine Ententruppe ihren angestammten Tümpel. Wir treffen sie in den nächsten Tagen immer wieder, was jedesmal großes Geschnatter hervorruft. Ein Schneehuhnpärchen mit einem einzigen, viel zu kleinen Jungen gewöhnt sich hingegen schnell an uns. Sonst ist niemand hier. Nur weit über dem Fjord fliegen immer wieder Möwen vorbei. Unbeirrt von den ungewohnten menschlichen Gästen ziehen sie direkt zur Zunge des Kaarali-Gletschers. Dort quillt unter dem Eis der Gletscherfluß hervor und hält ein Stück Fjord eisfrei. Es brodelt wie in einer gigantischen Topfquelle, der eingebrachte Sauerstoff lockt offensichtlich Fische hierher.
3 / wieder Kaarali - diesmal von Norden
Früh morgens stolpern wir die steile Moräne hinunter auf den Gletscherstrom. Auf dem aperen Gletscher läuft es sich gut, seilfrei und im Flachen auch ohne Steigeisen. Und vor allem ohne die schweren Rucksäcke. Wir springen über ein paar Spalten, bestaunen Gletschertische und schauen vorsichtig in die tiefen Löcher, die das oberflächliche Schmelzwasser in das Eis gefräst hat. Tief unten kocht der Fluss wie in einem Kraftwerk. Nach einigen Kilometern erreichen wir eine große Kreuzung, an der sich aus allen Richtungen Gletscher vereinigen. Wir entscheiden uns über eine Schwelle aufzusteigen, um das zentrale Plateau des Kaarali-Gletschers zu erreichen, in der Karte heißt es Basecamp. Den steileren Eisfall kommen wir gut hinauf, überall rinnt das Schmelzwasser und weicht das Eis auf. Oben dann wieder Schnee. Wie flüssiger, verdorbener Griesbrei quillt der über den Gletscher und bedeckt große Spaltensysteme. Den Stock kann man widerstandslos tief in die weiße Pampe schieben, noch nie zuvor hatte ich mit solch einer Schnee-Struktur zu tun. Ein bißchen suchen
wir herum, doch es ist klar, daß wir hier erneut umkehren müssen. Ganz leicht fällt es nicht, aber dann entdecken wir im Norden eine für uns gangbare Linie auf einen höhern Gipfel. Morgen werden wir also wieder kommen. Aber erst einmal geht es zurück über den Gletscher, eine Stunde hinauf auf die Moräne, vorbei an Schneehuhnfamilie und den Enten zum Zelt.
Dunkle Wolken sind aufgezogen, trotzdem sind wir wieder unterwegs auf dem Kaarali. An der Kreuzung biegen wir heute gen Norden ab. Über glatte Platten, gerade erst vom Eis freigelegt und noch schuttbeladen, erreichen wir eine steile Gletscherzunge. Im kompakten Eis geht es zügig hinauf, bis uns erneut der leidige Schnee erwartet. Hier oben, auf 1200m, ist er nur wenig fester, immerhin lassen sich die großen Spalten unter der Auflage erkennen. Einen Sprung können wir mit Schrauben sichern, dann spure ich über ein Plateau und suche einen Übergang auf den Gipfelgrat. Nach einigem hin und her finde ich irgendwie einen Weg zwischen verdeckten Spalten und offenen Randklüften. Der Firngrat ist ungefährlich, nach einigen Aufschwüngen plötzlich ein platter Felsen - wir sind oben. Ein namenloser Gipfel, 1440m hoch, nicht wirklich bedeutend, aber immerhin kartographiert. In einer steilen Nordwand bricht er auf den 16. September-Gletscher ab, der tief unten in den Eisfjord strömt. Die Berge des Schweizerlands im Norden verlieren sich in der Schlechtwetterfront, den Mont Forel, Grönlands zweithöchsten Gipfel, können wir nicht mehr ausmachen. An Pikkelhuen und Storebror, unter deren Südwänden wir vor einigen Tagen vorbeigelaufen sind, kondensiert der Nebel zu markanten Fahnen. Von der magischen Stimmung hoch über den Gletscherströmen können wir uns nur langsam lösen, aber schließlich machen wir uns doch an den langen Rückweg.
4 / Sermilik
Die folgenden Tage geht es südwärts, immer entlang des Sermilik. Bei Ebbe sind wir zwischen Eisblöcken durchmarschiert und haben nach einer eisigen Furt wieder die Trekkingroute erreicht. Oft
machen nun Pfadspuren das Laufen einfacher, eine Entlastung zu aller erst für den Kopf, der nun nicht immer nach der besten Route suchen muß. Einige glatte Felsen, die steil in den Fjord
abstürzen, verlangen dann doch wieder Konzentration. Der Eisfjord hält uns gefangen, immer wieder sitzen wir einfach nur da und schauen, auf die Eisberge und hinüber zum unendlichen Inlandeis.
Anders als am Kangia bei Ilulissat ist es hier erstaunlich still. Die Eisberge treiben ruhig auf und ab, nur ganz selten wälzt sich mal einer und sucht eine neue Position. Selbst Gegenverkehr,
den es im Gezeitenstrom erstaunlicherweise gibt, wird friedlich und ohne Getöse geregelt.
Der Kilikilaat-Gletscher sollte noch bis in den Fjord ragen, aber er hat sich weit zurückgezogen. Die Furt durch seine schlammige Hinterlassenschaft und eisigen Schmelzwasser verlangt uns einiges ab. Noch einmal sind wir am Berg: Vom idyllischen Flusstal der Ilinnera finden wir eine
verzwickte Route auf den höchsten Gipfel der Gruppe südlich des Kilikilaat. Von P 1445m gibt es grandiose Ausblicke zum Inlandeis und auf die Fjorde Sermilik und Qinngertivaq, aber auch dort keinen Hinweis auf eine frühere Besteigung. Wir bauen einen kleinen Steinmann, bald werden Schnee und Stürme ihn wieder umlegen. Und wenn in ein paar Jahren noch einmal jemand dort oben sein sollte, wird er sich erneut als Erstbegeher fühlen können.
Am 17. Tag sehen wir auf dem Ikaasattsivaq Fjord erstmals wieder Boote. Dahinter die Ammassalik Insel, dort wollen wir noch einige Tage weiter bis in den Hauptort Tasiilaq wandern. Das Zelt steht auf einem Geländerücken hoch über dem Sermilik. Lange haben wir gesucht, bis wir zwischen den Granitplatten Wasser gefunden haben, aber jetzt stehen einige Teiche zur Auswahl. Der kurze Sommer hat sie nur mäßig angewärmt, doch morgen werden wir im Servicehaus von Tiniteqilaaq eine warme Dusche bekommen. Wir haben noch ein bischen Essen übrig und konnten in den letzten Tagen die Rationen etwas erhöhen. Und so erreichen wir den kleinen Ort einigermaßen bei Kräften.
5 / Tiniteqilaaq
Auch hier irritieren uns erst einmal verlassene Häuser, sogar zwei ausgebrannte Ruinen gibt es. Doch die Einwohnerzahl hat zuletzt wieder zugenommen, sie schwankt schon länger zwischen 100 und 140. Sobald Kinder auf die höhere Schule müssen, ziehen die kompletten Familien nach Tasiilaq. Oft kommen sie nach einiger Zeit zurück, denn auch dort ist es schwierig, eine Existenzgrundlage zu finden. Nur verfallen die verlassenen und ungeheizten Häuser in wenigen Jahren. Und die Brandruinen sind normale Unfälle, eine Zigarette im Bett, ein kaputter Ofen. Jetzt streiten sich Versicherungen, die moderne Welt pflegt also selbst am äußersten Rand der Zivilisation ihre Sitten. Ansonsten bestimmen Jagd und Fischfang den Lebensrhythmus, gerade hängt Lachs zum Trocknen aus. Einige Touristen sind hier, eine große Kajakgruppe, Wanderer.
Wir finden einen schönen Zeltplatz am Ortsrand und spazieren zum Kaufmann. Als wir zurückkommen liegen überall Hartschalenkoffer herum, ein Geschirrberg steht auf unserem Essplatz. Ein gutes Dutzend aufgeregter Italiener versucht um unser Zelt weitere zu platzieren, obwohl das abschüssige Gelände kaum dafür geeignet ist. Jemand fuchtelt mit einer Pumpgun herum. Ein sichtlich gestresster Reiseleiter bemüht sich zu kochen und bekommt kaum Hilfe dabei.
Noch unerfreulicher freilich ist, was er zu erzählen hat: das Packeis lässt weiterhin nur eingeschränkt Schiffsverkehr zu, er kann seine gewohnten Ziele nicht erreichen und versucht nun die inhomogene Truppe hier zu beschäftigen. Und auf Ammassalik seien Eisbären aufgetaucht, die Insel für Trekker gesperrt. Nachts liegen wir noch lange wach und überlegen, wie wir weitermachen können, während die Italiener die nun schon dunkle Polarnacht zersägen.
6 / Ammassalik - Tasiilaq
Doch in Tiniteqilaaq glaubt niemand an Eisbären mitten im August, und ein Anruf bei der Polizeistation in Tasiilaq beruhigt uns ebenfalls. Nach einem Ruhetag setzten uns deshalb die beiden Inuit
Nikita und Boris über zur Insel. Sorgfältig beladen sie das kleine, aber geschlossene Boot. Nahrung, Thermosflaschen und Bekleidung werden eingepackt, das kleinkalibrige Jagdgewehr hat bereits
seinen festen Platz an Bord. Die Brüder fahren weiter auf große Jagd.
Wir wollen uns beeilen und haben nur für zwei Tage Nahrung dabei. Doch daraus wird nichts, denn an zwei Bergen entdecken wir unerwartet gute Aufstiegsmöglichkeiten. Vom P 1050 erblicken wir
bereits in der Ferne die Hauptstadt Ostgrönlands mit 1400 Einwohnern. Der zweite besteht aus zwei Felsinseln mitten im Gletscher und hat sogar einen Namen: Mittivakkat - die Brust, wir besteigen
die westliche.
Wieder einmal streift ein Polarfuchs um unser Zelt. Doch es gibt nichts mehr zu essen. Den großen Qorlotoq-See müssen wir noch umrunden, dann erreichen wir Kong Oskars Havn. Der geschützte Fjord hat Tasiilaq den Namen gegeben: das was einem See ähnelt. Bei Ebbe marschieren
wir auf gerader Linie durch Blasentang in den Ort, gestrandete Eisberge liegen Spalier. Im riesigen Supermarkt auf einmal Streß: nun gibt es wieder zehn Pastasorten zur Auswahl, und welche Kekse sollen wir kaufen? Doch wir haben noch Zeit, uns an die Zivilisation zu gewöhnen. Ein paar Tage schlendern wir herum, und sind auch immer wieder im Supermarkt zu finden. Wir lassen uns Trampolinkunststücke vorführen und sind beim Fußball dabei. Am Straßenrand wird eine Robbe ausgenommen, während in der Hütte daneben der Fernseher durchläuft. Schlittenhunde warten zwischen Scooterwracks auf den Schnee, archaische Jäger spielen mit den funkgesteuerten hightech-Autos ihrer Kinder. Wie in den Städten Westgrönlands prallen auch hier Welten aufeinander.
Zum Schluß bestaunen wir im Blomsterdal Glockenblumen und den großen, abgelegenen Friedhof. Von einem Berg an der Küste schauen wir herab auf das freie Meer, das Packeis hat sich verzogen und alle sind gelöst. An diesem Tag wird es auf einen Schlag Herbst: es gibt Nachtfrost, die Tundra ist plötzlich gelb und kalte Nebel hüllen Ort und Bucht in fahles Abschiedslicht.
(Stand 2011)
An der langen Ostküste Grönlands bietet der Ammassalik-Distrikt um den Hauptort Tasiilaq (früher ebenfalls Ammassalik genannt) die einzige Möglichkeit, ohne besonderen logistischen Aufwand größere Touren zu unternehmen. Ab 150km Entfernung von Tasiilaq werden auch hier Expeditionsgenehmigungen erforderlich.
Transport
Der Flughafen Kulusuk wird meist von Reykjavik/Island erreicht, z.B. mit Air Iceland. Dort bietet Air Greenland Helikopter-Shuttle nach Tasiilaq an. Die kleineren Orte des Distrikts werden von Tasiilaq sternförmig mit dem Heli angeflogen. Private Boote kann man in allen Siedlungen organisieren, in der Regel gibt es feste Tarife pro Person.
Einkaufen - Service
Großer Supermarkt mit reichhaltigem Warenangebot in Tasiilaq. Kleine, zweckmäßig sortierte Läden in den weiteren Siedlungen. Ungefähr dänisches Preisniveau.
In Tasiilaq Hotels und viele touristische Angebote. Auch in Kulusuk gibt es ein Hotel. Sonst nur vereinzelte private Leistungen. Aber in den Siedlungen stehen die Servicehäuser mit z.B. Duschen gegen eine Gebühr auch Touristen zu Verfügung.
Trekking
Wegspuren gibt es nur in Einzelfällen. Selbst von Tasiilaq ausgehend ist man in wenigen Stunden absolut einsam. Alle Touren verlangen daher einen erfahrenen und besonnenen Trekker mit guter
Ausrüstung. In der Trekkingzeit Juli und August gibt es oft relativ stabiles Wetter mit Temperaturen um 7°C. Beschrieben werden aber auch extreme Fallwinde (Piteraqs) vom Inlandeis.
Zahlreiche Veranstalter bieten Touren an, von März bis Mai auch mit Ski oder Schlitten. Und natürlich ist die Region ein fantastisches Kajak-Revier!
Eisbären
Ostgrönland ist Bärenland! Solange Eis und damit Robben als Nahrungsgrundlage vorhanden sind, muß man sich schützen, mit scharfen Waffen und Alarmzäunen ums Zelt. Mit dem Eis sollten auch die
Bären aus dem Ammassalik-Distrikt verschwinden. Eine abschließende Einschätzung ist uns nicht möglich und konnte uns nicht gegeben werden. Wir haben keinen Einheimischen getroffen, der im August
noch mit Waffe unterwegs wäre. (Wobei Inuit kaum zu Fuß gehen und in ihren Booten immer ein kleinkalibriges Jagdgewehr zur Robbenjagd mitführen. Damit können sie - und nur sie - sogar Bären
töten) Touristengruppen wird das Mitführen eines Gewehrs empfohlen. Pumpguns können vor Ort gemietet werden. In unseren Augen macht das nur Sinn, wenn man damit auch wirklich umgehen kann - und
will.
Karten/Führer
Die Region ist mit 1:100.000 Karten gut kartographiert. Die Blätter „Tasiilaq“ und „Kuummiit“ sind im Wanderführer (s.u.) enthalten, für den Kaarali-Gletscher gibt es eine Extra-Karte.
Die weitere Umgebung findet man nur in 1:250.000 auf der Saga-Map 19
In „Wanderrouten in Ostgrönland“, herausgegeben vom Ausschuss für Wandertourismus in Grönland, werden viele Touren beschrieben, lange Trekks und Tageswanderungen um die Siedlungen.
Ergänzende Routenbeschreibung, Gipfeltouren:
© Text und Fotos: Tilmann Graner